Ein junger Mann in einem Klassenzimmer meldet sich mit Handzeichen
Psychische Gesundheit

People pleaser: Gefallen um jeden Preis

Lesedauer unter 6 Minuten

Redaktion

  • Janina Jetten (freie Autorin, für Nerdpol – Redaktionsbüro für Medizin- und Wissenschaftsjournalismus)

Qualitätssicherung

  • Dirk Weller (Diplom-Psychologe)

Bloß nicht negativ auffallen, immer den anderen helfen, stets nett sein: People Pleaser wollen es allen recht machen und können nicht gut Nein sagen. Dahinter steckt die Suche nach Anerkennung. Wie wir lernen, unser eigenes Wohlbefinden im alltäglichen Leben stärker in den Vordergrund zu rücken.

„Klar, mache ich gern!“ Dieser Satz begleitet Kerstin L. aus Hamburg wie eine Art Lebensmotto. Eine zusätzliche Schicht im Job übernehmen, das Geburtstagsgeschenk für den Klassenlehrer des Sohnes besorgen, die Pakete für alle im Mietshaus annehmen: Für Kerstin ist es selbstverständlich, mit einem Lächeln im Gesicht „Hier“ zu rufen, wenn es darum geht, anderen zu helfen oder einen Gefallen zu tun. „Ich mag dieses Gefühl, gebraucht zu werden. Dann fühle ich mich gut“, sagt sie.

Doch ihre Nettigkeit hat auch Schattenseiten: Kerstin L. sagt selbst dann noch „Klar“, wenn ihre zeitlichen oder mentalen Grenzen längst überschritten sind. Es fällt ihr schwer, für sich selbst einzustehen: „Nein sagen, ablehnen, in Konfrontation gehen – das meide ich wie die Pest“, sagt sie. Kerstin ist das, was heute mit dem englischen Begriff People Pleaser beschrieben wird: eine „Menschen-Zufriedenstellerin“. Denn People Pleaser tun alles dafür, um anderen Personen zu gefallen.

Was macht People Pleaser aus?

Nun könnte man einwenden: Was ist so schlimm daran, anderen zu helfen? Schließlich wollen wir gemocht, wertgeschätzt, im besten Falle geliebt werden. Ein Anteil „People Pleaser“ steckt so gesehen in den meisten von uns. Das liegt daran, dass es rein evolutionsbedingt in unserer Natur liegt, nach Anerkennung zu streben – zu einer Gruppe dazuzugehören sicherte uns einst das Überleben. Um das zu erreichen, bringen wir uns ein, mit Eigenschaften wie Engagement, Empathie und Rücksichtnahme. Das sind Werte, die wir für ein Miteinander in unserer Gesellschaft gut gebrauchen können.

People Pleaser wollen unbedingt gemocht werden – und stellen dafür ihre eigenen Bedürfnisse zurück.

People Pleaser wollen unbedingt gemocht werden – und stellen dafür ihre eigenen Bedürfnisse zurück.

Doch im Normalfall tun wir das im gesunden Einklang mit den eigenen Bedürfnissen. Wir stehen für uns selbst ein, wenn wir eine andere Meinung haben, erst recht, wenn wir uns ausgenutzt oder schlecht behandelt fühlen. Diese Grenzen übergehen People Pleaser regelmäßig.

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Diese Anzeichen sind typisch für People Pleaser 

  • Sie stellen Ihre eigenen Bedürfnisse und Ansichten hintenan, um die Wünsche, Anforderungen und Erwartungen anderer zu erfüllen. 
  • Sie stimmen allen zu, meinen es stets gut, wollen nett sein und geben Ihre eigene Meinung auf, um mit der Ihres Gegenübers übereinzustimmen. 
  • Sie können schwer um Hilfe bitten, weil Sie Angst haben, andere Menschen zu nerven. Und weil Sie denken, Sie wären es nicht wert, dass man sich um Sie bemüht.
  • Sie entschuldigen sich viel – sogar für Dinge, die Sie gar nicht zu verantworten haben.
  • Sie haben Schwierigkeiten, Nein zu sagen oder Grenzen zu setzen.
  • Sie vergeben sehr leicht, auch wenn dieselben Personen Ihnen immer wieder wehtun.
  • Sie fühlen sich für die Gefühle anderer Menschen verantwortlich.
  •  Sie gehen Konflikten aus dem Weg, haben Angst, etwas Kritisches zu sagen und enttäuschen so manchmal sogar Menschen, die Sie eigentlich verteidigen müssten. 
  • Geraten Sie doch einmal in einen Konflikt, sind Sie am Ende die Person, die klein beigibt oder tröstet – auch, wenn Sie selbst verletzt sind.
  • Sie können nur schwer mit Kritik, Enttäuschungen, Verlust und Ablehnung umgehen.

Was steckt hinter People Pleasing?

Die Motivation eines People Pleasers ist es, Anerkennung, Bindung, Zuneigung, positives Feedback und Liebe zu bekommen. Ob dies durch die Familie, den Partner oder die Partnerin erfolgt, den Freundes- und Arbeitskreis, die Nachbarschaft oder durch völlig fremde Menschen, die Herzchen und Likes auf den Social-Media-Kanälen dalassen, ist schon fast egal. Dahinter steckt schlicht und ergreifend die Angst davor, abgelehnt zu werden. 

Oft liegt der Ursprung in der Kindheit. Wenn Eltern sehr streng, unberechenbar oder wütend sind, greifen manche Kinder zu der Strategie, möglichst nicht anzuecken, sich einzufühlen, wie es den Eltern geht, in der Hoffnung auf eine wohlwollende Reaktion und anerkennende Worte. „Mein Vater konnte recht ungehalten sein, wenn ich nicht seinem Bild von einem Mädchen entsprach“, erinnert sich Kerstin. „Also war ich brav und lieb, weil ich dachte, dass er mich nur so mag.“ Auch traumatische Erfahrungen wie Mobbing oder eine schmerzhafte Trennung, bei der man sich fragt, was man falsch gemacht hat, können People Pleasing befördern.

Welche Folgen kann People Pleasing haben?

People Pleasing ist auf Dauer anstrengend. Nur zu geben, sich permanent zu verstellen, die eigene Meinung runterzuschlucken und Grenzen zu ignorieren – das ist nicht gut für das Selbstwertgefühl. „Ich dachte, dass ich mich gut fühlen müsste, wenn ich für andere da bin“, sagt Kerstin. „Nur irgendwie kam ich immer an letzter Stelle – und das fühlte sich alles andere als gut an. Ich war enttäuscht und wütend, weil es offensichtlich alle für selbstverständlich hielten, dass ich schon alles schaffe.“

Auf Dauer kann die mentale Gesundheit leiden und das Risiko für psychischen Erkrankungen wie Burnout, Angststörungen oder Depressionen steigt. In einer Studie wurde außerdem festgestellt, dass Menschen mehr essen, wenn sie das Gefühl haben, anderen dadurch einen Gefallen zu tun, selbst wenn sie es nicht unbedingt wollen. Dazu passt das Ergebnis einer weiteren Studie, die besagt, dass People Pleasing mit Übergewicht einhergehen kann.

Wie kann man sich People Pleasing abgewöhnen?

Jahrelange Gewohnheiten abzulegen, funktioniert meist nicht von heute auf morgen. Wenn wir unsere eigenen Bedürfnisse aber besser wahrnehmen und im Blick behalten, ist das ein erster Schritt, für sich selbst einstehen zu können. Ist der Leidensdruck sehr hoch und sind Krankheitsbilder wie Angststörung oder Depression entstanden, kann therapeutisch Hilfe ratsam sein. 

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Damit es gar nicht soweit kommt, können diese Schritte helfen: 

  • Nein zu sagen, fällt People Pleasern besonders schwer. Das sollten Sie aber dringend lernen. Probieren Sie es einfach mal aus: Bevor Sie antworten, halten Sie inne und fragen sich: „Was ist denn für mich gerade am besten?“ Kommen Sie zu dem Schluss, dass ein Ja nicht das Beste für Sie ist, sagen Sie ruhig so etwas wie: „Nein, das schaffe ich nicht/ will ich nicht/ vielleicht ein anderes Mal.“ Sie können auch einen Gegenvorschlag machen. Sie werden schnell sehen, dass Nein sagen weitaus weniger negative Reaktionen hervorruft, als Sie denken. 
  • Versuchen Sie es auszuhalten, wenn es doch mal zu negativen Emotionen kommt. So manch einer (der Sie bisher ausgenutzt hat) mag es eventuell zunächst befremdlich finden, wenn Sie nicht mehr permanent allem zustimmen. Aber: Sie müssen die Erwartungshaltungen anderer nicht zu Ihrer Angelegenheit machen.
  • Sie können sich auch einen Freund oder eine Freundin suchen und diese in schwierigen Situationen um Rat fragen

Außerdem kann diese Erkenntnis hilfreich sein: People Pleasing führt nur selten zum erwünschten Erfolg. Wer sich permanent aufopfert, wird oft ausgenutzt, nicht ernstgenommen und erlangt gar nicht die Beliebtheit, die er sich erhofft.

Oftmals finden wir die Menschen interessanter, die nicht um jeden Preis gefallen wollen, die Rückgrat haben und ihre Meinung vertreten. Es zeugt von gesundem Egoismus, für sich und seine Bedürfnisse einzustehen, sich von anderen Menschen abzugrenzen und das eigene Leben selbstbewusst zu gestalten. Auch Kerstin arbeitet an sich. Ihr aktuelles Lebensmotto ist mittlerweile ein anderes: „Ich muss nicht um jeden Preis gefallen, um geliebt und akzeptiert zu werden.“

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